Und plötzlich sind wir alle Isländer. Oder Waliser.
Egal.
Irgendein Underdog der Fußballwelt, der die millionenschweren Spieler
aller Herren Länder blass aussehen lässt.
Im Fußball.
Und auch nur für einen kleinen Moment.
Aber das ist egal.
Identifikationsfigur here you are.
Auch die deutsche Mannschaft ist noch im Turnier, und das auf gar nichtmal so schlechte Weise. Aber unsere Herzen haben die Wikinger aus Island und die Waliser von der Nachbarinsel gewonnen.
Vergessen, dass Letztere gerade noch mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben und sonst eigentlich auch lieber unter sich sind.
Und die Isländer erst. Eine Nationalmannschaft, zusammengekratzt aus gerademal 100 Profifußballern im ganzen Land. Der Trainer ein Zahnarzt und die Spieler normalerweise Schafzüchter oder Elektriker. Bei Siegesfeiern der hiesigen Clubs wird sich mit Milch anstatt mit Bier oder Champagner überschüttet.
Was für ein Volk.
Wie auch immer sie es geschafft haben, sie lassen uns hoffen, bangen, zittern und jubeln.
Sie begeistern uns.
Wir liegen uns in den Armen wegen Menschen, deren Namen wir bis vor wenigen Wochen noch nie gehört haben und sie bis auf das -son am Ende auch bald wieder vergessen haben werden.
Weil sie ein Tor geschossen haben oder auch zwei.
Weil sie aus dem Nichts kamen und die vermeintlich Großen an der Nase herumführten.
Weil sie uns zusammen feiern lassen, zum Trotz alledem was gerade so in der Welt passiert.
Und genau das ist es.
Jeden Tag neue schreckliche Nachrichten.
Eine schlimmer als die andere und man weiß gar nicht mehr wohin mit sich.
Selbstmordattentate. Bombenanschläge. Terror. Unzählige Toten auf allen Seiten.
Ein beängstigender und abscheulicher Rechtsruck in unserem Land und auftauchende Parolen, von denen man dachte, dass sie seit 70 Jahren für immer aus dem Wortschatz verbannt sein sollten.
Es sind vermutlich nicht die selben, die eben solche Parolen auf Bettlaken pinseln,
um sie auf Demos in die Kameras zu halten und solche, die sich uneingeschränkt
für ein kleines Inselvolk, dessen Bekanntheit aus der Existenz von Schafen und Ponys resultiert, freuen wenn es bei der EM ein Spiel gewinnt.
Aber was bleibt ist die Stimmung.
Und das Gefühl des Gemeinsamen.
Der gemeinsamen Freude für etwas anderes.
Nicht weil es einem Geld bringt oder man sonst irgendwelche
Vorteile für sich daraus ziehen könnte.
Weil es gut tut, einfach mal zu jubeln.
Und wenn es nur auf Grund eines Fußballspiels ist, welches ein Land gewinnt,
dass nicht das eigene ist.
Es tut so gut.
Bald ist die EM vorbei.
Und so sehr ich mich freue, dass dann wieder weniger Deutschlandfahnen
von abgeranzten Balkonen und aus tiefergelegten 3er BMWs hängen,
umso mehr werde ich dieses Gefühl, dass sich für und durch diese Isländer
und Waliser entwickelt hat, vermissen.
Man kann nicht immer jubeln und es ist nicht alles gut.
Ganz im Gegenteil sogar.
Aber genau weil das so ist, ist es so wichtig, dass wir es nicht verlernen.
Ich will mich wieder wohlfühlen hier.
Tut was.
Auch ohne EM.